Pharsalische Felder.
Finsterniß.
Erichtho.
Zum Schauderfeste dieser Nacht, wie öfter schon,
Tret’ ich einher, Erichtho, ich die düstre;
Nicht so abscheulich wie die leidigen Dichter mich
Im Uebermaß verlästern… Endigen sie doch nie
In Lob und Tadel… Ueberbleicht erscheint mir schon
Von grauer Zelten Woge weit das Thal dahin,
Als Nachgesicht der sorg- und grauenvollsten Nacht.
Wie oft schon wiederholt sich’s! Wird sich immerfort
In’s Ewige wiederholen… Keiner gönnt das Reich
Dem Andern, dem gönnt’s keiner der’s mit Kraft erwarb
Und kräftig herrscht. Denn jeder, der sein innres Selbst
Nicht zu regieren weiß, regierte gar zu gern
Des Nachbars Willen, eignem stolzem Sinn gemäß…
Hier aber ward ein großes Beispiel durchgekämpft:
Wie sich Gewalt Gewaltigerm entgegenstellt,
Der Freiheit holder, tausendblumiger Kranz zerreißt,
Der starre Lorbeer sich um’s Haupt des Herrschers biegt.
Hier träumte Magnus früher Größe Blüthentag,
Dem schwanken Zünglein lauschend wachte Cäsar dort!
Das wird sich messen. Weiß die Welt doch wem’s gelang.
Wachfeuer glühen, rothe Flammen spendende;
Der Boden haucht vergoss’nen Blutes Wiederschein,
Und angelockt von seltnem Wunderglanz der Nacht,
Versammelt sich hellenischer Sage Legion.
Um alle Feuer schwankt unsicher, oder sitzt
Behaglich, alter Tage fabelhaft Gebild…
Der Mond, zwar unvollkommen, aber leuchtend hell,
Erhebt sich, milden Glanz verbreitend überall;
Der Zelten Trug verschwindet, Feuer brennen blau.
Doch, über mir! welch unerwartet Meteor?
Es leuchtet und beleuchtet körperlichen Ball.
Ich wittre Leben. Da geziemen will mir’s nicht
Lebendigem zu nahen, dem ich schädlich bin;
Das bringt mir bösen Ruf und frommt mir nicht.
Schon sinkt es nieder. Weich’ ich aus mit Wohlbedacht.
(Entfernt sich.)
(Die Luftfahrer oben.)
Homunculus.
Schwebe noch einmal die Runde
Ueber Flamm- und Schaudergrauen;
Ist es doch in Thal und Grunde,
Gar gespenstisch anzuschauen.
Mephistopheles.
Seh’ ich, wie durch’s alte Fenster,
In des Nordens Wust und Graus
Ganz abscheuliche Gespenster;
Bin ich hier wie dort zu Haus.
Homunculus.
Sieh! da schreitet eine Lange
Weiten Schrittes vor uns hin.
Mephistopheles.
Ist es doch als wär’ ihr bange,
Sah uns durch die Lüfte ziehn.
Homunculus.
Laß sie schreiten! setz’ ihn nieder
Deinen Ritter, und sogleich
Kehret ihm das Leben wieder,
Denn er sucht’s im Fabelreich.
Faust (den Boden berührend).
Wo ist sie? –
Homunculus.
Wüßten’s nicht zu sagen,
Doch hier wahrscheinlich zu erfragen.
In Eile magst du, eh’ es tagt,
Von Flamm’ zu Flamme spürend gehen:
Wer zu den Müttern sich gewagt
Hat weiter nichts zu überstehen.
Mephistopheles.
Auch ich bin hier an meinem Theil;
Doch wüßt’ ich bess’res nicht zu unserm Heil,
Als: jeder möge durch die Feuer
Versuchen sich sein eigen Abenteuer.
Dann, um uns wieder zu vereinen,
Laß deine Leuchte, Kleiner, tönend scheinen.
Homunculus.
So soll es blitzen, soll es klingen.
(Das Glas dröhnt und leuchtet gewaltig.)
Nun frisch zu neuen Wunderdingen!
Faust (allein).
Wo ist sie? – Frage jetzt nicht weiter nach…
Wär’s nicht die Scholle die sie trug,
Die Welle nicht die ihr entgegen schlug,
So ist’s die Luft die ihre Sprache sprach.
Hier! durch ein Wunder, hier in Griechenland!
Ich fühlte gleich den Boden wo ich stand.
Wie mich, den Schläfer, frisch ein Geist durchglühte,
So steh’ ich, ein Antäus an Gemüthe.
Und find’ ich hier das Seltsamste beisammen,
Durchforsch’ ich ernst dieß Labyrinth der Flammen.
(Entfernt sich.)
Mephistopheles (umherspürend).
Und wie ich diese Feuerchen durchschweife,
So find’ ich mich doch ganz und gar entfremdet,
Fast alles nackt, nur hie und da behemdet:
Die Sphinxe schamlos, unverschämt die Greife,
Und was nicht alles, lockig und beflügelt,
Von vorn und hinten sich im Auge spiegelt…
Zwar sind auch wir von Herzen unanständig,
Doch das Antike find’ ich zu lebendig;
Das müßte man mit neustem Sinn bemeistern
Und mannichfaltig modisch überkleistern…
Ein widrig Volk! doch darf mich’s nicht verdrießen
Als neuer Gast anständig sie zu grüßen…
Glück zu! den schönen Frau’n, den klugen Greisen.
Greif (schnarrend).
Nicht Greisen! Greifen! – Niemand hört es gern
Daß man ihn Greis nennt. Jedem Worte klingt
Der Ursprung nach wo es sich her bedingt:
Grau, grämlich, griesgram, gräulich, Gräber, grimmig,
Etymologisch gleicherweise stimmig,
Verstimmen uns.
Mephistopheles.
Und doch, nicht abzuschweifen,
Gefällt das Grei im Ehrentitel Greifen.
Greif
(wie oben und immer so fort).
Natürlich! die Verwandtschaft ist erprobt,
Zwar oft gescholten, mehr jedoch gelobt;
Man greife nun nach Mädchen, Kronen, Gold,
Dem Greifenden ist meist Fortuna hold.
Ameisen
(von der kolossalen Art).
Ihr sprecht von Gold, wir hatten viel gesammelt,
In Fels und Höhlen heimlich eingerammelt;
Das Arimaspen-Volk hat’s ausgespürt,
Sie lachen dort, wie weit sie’s weggeführt.
Greife.
Wir wollen sie schon zum Geständniß bringen.
Arimaspen.
Nur nicht in freier Jubelnacht.
Bis morgen ist’s alles durchgebracht,
Es wird uns dießmal wohl gelingen.
Mephistopheles
(hat sich zwischen die Sphinxe gesetzt).
Wie leicht und gern ich mich hieher gewöhne,
Denn ich verstehe Mann für Mann.
Sphinx.
Wir hauchen unsre Geistertöne
Und ihr verkörpert sie alsdann.
Jetzt nenne dich bis wir dich weiter kennen.
Mephistopheles.
Mit vielen Namen glaubt man mich zu nennen –
Sind Britten hier? Sie reisen sonst so viel,
Schlachtfeldern nachzuspüren, Wasserfällen,
Gestürzten Mauern, classisch dumpfen Stellen;
Das wäre hier für sie ein würdig Ziel.
Sie zeugten auch: im alten Bühnen-Spiel
Sah man mich dort als old Iniquity.
Sphinx.
Wie kam man drauf?
Mephistopheles.
Ich weiß es selbst nicht wie.
Sphinx.
Mag seyn! Hast du von Sternen einige Kunde?
Was sagst du zu der gegenwärtigen Stunde?
Mephistopheles (aufschauend).
Stern schießt nach Stern, beschnittner Mond scheint helle
Und mir ist wohl an dieser trauten Stelle,
Ich wärme mich an deinem Löwenfelle.
Hinauf sich zu versteigen wär’ zum Schaden,
Gib Räthsel auf, gib allenfalls Charaden.
Sphinx.
Sprich nur dich selbst aus, wird schon Räthsel seyn.
Versuch einmal dich innigst aufzulösen:
„Dem frommen Manne nöthig wie dem bösen,
Dem ein Plastron, ascetisch zu rapiren,
Cumpan dem andern, Tolles zu vollführen,
Und beydes nur, um Zeus zu amüsiren.“
Erster Greif (schnarrend).
Den mag ich nicht!
Zweyter Greif (stärker schnarrend).
Was will uns der?
Beide.
Der Garstige gehöret nicht hierher!
Mephistopheles (brutal).
Du glaubst vielleicht des Gastes Nägel krauen
Nicht auch so gut wie deine scharfen Klauen?
Versuch’s einmal
Sphinx (milde).
Du magst nur immer bleiben,
Wird dich’s doch selbst aus unsrer Mitte treiben;
In deinem Lande thust dir was zu Gute,
Doch, irr’ ich nicht, hier ist dir schlecht zu Muthe.
Mephistopheles.
Du bist recht appetitlich oben anzuschauen,
Doch unten hin, die Bestie macht mir Grauen.
Sphinx.
Du Falscher kommst zu deiner bittern Buße,
Denn unsre Tatzen sind gesund;
Dir mit verschrumpftem Pferdefuße
Behagt es nicht in unserm Bund.
Sirenen (präludiren oben).
Mephistopheles.
Wer sind die Vögel in den Aesten
Der Stromes-Pappeln hingewiegt?
Sphinx.
Gewahrt euch nur! die Allerbesten
Hat solch ein Sing-Sang schon besiegt.
Sirenen.
Ach was wollt ihr euch verwöhnen
In dem häßlich Wunderbaren!
Horcht, wir kommen hier zu Schaaren
Und in wohlgestimmten Tönen.
So geziemet es Sirenen.
Sphinxe
(sie verspottend in derselben Melodie).
Nöthigt sie herabzusteigen!
Sie verbergen in den Zweigen
Ihre garstigen Habichtskrallen,
Euch verderblich anzufallen,
Wenn ihr euer Ohr verleiht.
Sirenen.
Weg! das Hassen weg! das Neiden,
Sammeln wir die klarsten Freuden,
Unterm Himmel ausgestreut!
Auf dem Wasser, auf der Erde,
Sey’s die heiterste Gebärde
Die man dem Willkommnen beut.
Mephistopheles.
Das sind die saubern Neuigkeiten
Wo aus der Kehle, von den Saiten
Ein Ton sich um den andern flicht.
Das Trallern ist bei mir verloren,
Es krabbelt wohl mir um die Ohren
Allein zum Herzen dringt es nicht.
Sphinxe.
Sprich nicht vom Herzen! das ist eitel;
Ein lederner verschrumpfter Beutel
Das paßt dir eher zu Gesicht.
Faust (herantretend).
Wie wunderbar! das Anschaun thut mir Gnüge,
Im Widerwärtigen große tüchtige Züge.
Ich ahne schon ein günstiges Geschick;
Wohin versetzt mich dieser ernste Blick?
(Auf die Sphinxe deutend.)
Vor solchen hat einst Oedipus gestanden;
(Auf die Sirenen deutend.)
Vor solchen krümmte sich Ulyß in hänfnen Banden;
(Auf die Ameisen deutend.)
Von solchen ward der höchste Schatz gespart;
(Auf die Greife deutend.)
Von diesen treu und ohne Fehl bewahrt.
Vom frischen Geiste fühl’ ich mich durchdrungen,
Gestalten groß, groß die Erinnerungen.
Mephistopheles.
Sonst hättest du dergleichen weggeflucht,
Doch jetzo scheint es dir zu frommen;
Denn wo man die Geliebte sucht
Sind Ungeheuer selbst willkommen.
Faust (zu den Sphinxen).
Ihr Frauenbilder müßt mir Rede stehn:
Hat eins der Euren Helena gesehn?
Sphinxe.
Wir reichen nicht hinauf zu ihren Tagen,
Die letztesten hat Hercules erschlagen.
Von Chiron könntest du’s erfragen;
Der sprengt herum in dieser Geisternacht,
Wenn er dir steht so hast du’s weit gebracht.
Sirenen.
Sollte dir’s doch auch nicht fehlen!…
Wie Ulyß bei uns verweilte,
Schmähend nicht vorübereilte,
Wußt’ er vieles zu erzählen;
Würden alles dir vertrauen,
Wolltest du zu unsern Gauen
Dich an’s grüne Meer verfügen.
Sphinx.
Laß dich Edler nicht betrügen.
Statt daß Ulyß sich binden ließ,
Laß unsern guten Rath dich binden;
Kannst du den hohen Chiron finden,
Erfährst du was ich dir verhieß.
Faust (entfernt sich).
Mephistopheles (verdrießlich).
Was krächzt vorbei mit Flügelschlag?
So schnell daß man’s nicht sehen mag,
Und immer eins dem andern nach,
Den Jäger würden sie ermüden.
Sphinx.
Dem Sturm des Winterwinds vergleichbar,
Alcides Pfeilen kaum erreichbar,
Es sind die raschen Stymphaliden.
Und wohlgemeint ihr Krächzegruß,
Mit Geyerschnabel und Gänsefuß.
Sie möchten gern in unsern Kreisen
Als Stammverwandte sich erweisen.
Mephistopheles
(wie verschüchtert).
Noch andres Zeug zischt zwischen drinn.
Sphinx.
Vor diesen sey euch ja nicht bange,
Es sind die Köpfe der Lernäischen Schlange,
Vom Rumpf getrennt und glauben was zu seyn. –
Doch sagt was soll nur aus euch werden?
Was für unruhige Gebärden?
Wo wollt ihr hin? Begebt euch fort! ..
Ich sehe, jener Chorus dort
Macht euch zum Wendehals. Bezwingt euch nicht,
Geht hin! begrüßt manch reizendes Gesicht.
Die Lamien sind’s, lustfeine Dirnen,
Mit Lächelmund und frechen Stirnen
Wie sie dem Satyrvolk behagen;
Ein Bocksfuß darf dort alles wagen.
Mephistopheles.
Ihr bleibt doch hier? daß ich euch wiederfinde.
Sphinx.
Ja! Mische dich zum luftigen Gesinde.
Wir, von Egypten her, sind längst gewohnt
Daß unsereins in tausend Jahre thront.
Und respectirt nur unsre Lage,
So regeln wir die Mond- und Sonnentage.
Sitzen vor den Pyramiden,
Zu der Völker Hochgericht,
Ueberschwemmung, Krieg und Frieden –
Und verziehen kein Gesicht.
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